Grundsatz in dubio pro reo - Urteile kostenlos online lesen (2025)

Entscheidungen und Beschlüsse der Gerichte zum Schlagwort „Grundsatz "in dubio pro reo"“.

OLG-BAMBERG – Urteil, 2 Ss 135/12 vom 05.03.2013

1. Bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von BtM (hier: "Crystal-Speed") gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist die Beschränkung eines Rechtsmittels (Berufung oder Revision) auf den Rechtsfolgenausspruch regelmäßig unwirksam, wenn im angefochtenen Urteil entweder konkrete Feststellungen zur Mindestqualität des eingeführten Rauschgifts, nämlich zu Wirkstoffmenge und Reinheitsgehalt, fehlen, oder aber - was im Urteil gegebenenfalls ausdrücklich unter Darlegung der dafür maßgeblichen Anknüpfungstatsachen (Beweisanzeichen) konkret anzuführen und zu begründen ist - nicht nach dem Zweifelssatz ‚in dubio pro reo' von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit ausgegangen wurde (Anschluss u.a. an OLG München NStZ-RR 2011, 89 f.).2. Die Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch kann gleichwohl ausnahmsweise wirksam sein, wenn nach den Feststellungen sicher ist, dass es sich tatsächlich um Betäubungsmittel handelt und angesichts des festgestellten Bruttogewichts (hier: 4 g "Crystal-Speed") einerseits die Grenze zur nicht geringen Menge selbst unter Zugrundelegung eines Wirkstoffgehalts von 100 % nicht überschritten und andererseits ein Fall des § 29 Abs. 5 BtMG auszuschließen ist (u.a. Anschluss an OLG Celle NStZ-RR 2012, 59 und KG, Beschluss vom 04.01.2012 - (4) 1 Ss 446/11 (322/11) = Beck RS 2012, 12416 = NStZ-RR 2012, 289 [Ls]).

VG-WIESBADEN – Urteil, 28 K 389/11.WI.D vom 27.09.2012

Ein Polizeibeamter, der eine vorsätzliche Körperverletzung im Amt an einer in Polizeigewahrsam befindlichen Person durch unberechtigten Pfeffersprayeinsatz begeht, handelt dem Kernbereich seiner Pflichten zuwider.

SG-MARBURG – Urteil, S 6 KR 180/10 vom 27.08.2012

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung liegen auch dann vor, wenn die Versicherte gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen sterilisiert worden war.

LG-GIESSEN – Beschluss, 7 Qs 63/12 vom 28.06.2012

Wer als zuständiger Arzt einer pasychiatrischen Klinik nicht zur Verhinderung eines freiverantwortlich begangenen Selbstmordes ubnternimmt, macht sich nicht strafbar, auch wenn der betreffende Patient wegen Suizidgefahr überwiesen wurde.

KG – Beschluss, 1 Ws 72/09 vom 20.02.2012

1. Im Strafverfahren sind Kosten für eigene Ermittlungen und Privatgutachten grundsätzlich keine erstattungsfähigen notwendigen Auslagen. Beauftragt ein Angeklagter zur Entlastung vom Anklagevorwurf einen privaten Sachverständigen, so sind die dadurch entstehenden Aufwendungen, ohne dass es entsprechender Beweisanträge, Beweisanregungen oder Hinweise an das Gericht bedarf, dem Grunde nach als notwendige Auslagen jedoch dann zu erstatten, wenn ein Beweisverlust durch die Verschlechterung der Spurenlage droht und wenn das Privatgutachten für den späteren Freispruch ursächlich ist.

2. Zu den Maßstäben für die Überprüfung der geltend gemachten Vergütung des privaten Sachverständigen im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 464b StPO.

3. Für die Höhe des erstattungsfähigen Stundensatzes des privaten Sachverständigen ist entsprechend der Grundsatzentscheidung des BGH vom 25. Januar 2007 - VII ZB 74/06 - (NJW 2007, 1532) das JVEG nicht direkt anwendbar. Die Stundensätze des JVEG sind jedoch als Richtlinie anzusehen, auf deren Grundlage der privatrechtlich vereinbarte Stundensatz einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen ist. Weicht der Stundensatz um 20% oder mehr vom Stundensatz der entsprechenden Honorargruppe des JVEG ab, bedarf es für die Plausibilitätsprüfung besonderer Darlegungen durch den Anspruchsteller.

4. Hat der Freigesprochene seinen Anspruch auf Erstattung notwendiger Auslagen an einen von ihm beauftragten privaten Sachverständigen abgetreten und ist er von diesem ausdrücklich ermächtigt worden, den Anspruch im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend zu machen, so ist der Freigesprochene im Kostensetzungsverfahren nach § 464b StPO befugt, die notwendigen Auslagen im eigenen Namen festsetzen zu lassen und gegebenenfalls gegen die Kostenfestsetzungsentscheidung Rechtsmittel einzulegen. Ein daneben von dem Sachverständigen eingelegtes Rechtsmittel ist unzulässig.

AG-WUPPERTAL – Urteil, 12 Cs 178/11 vom 24.10.2011

Das aggressive gemeinsame Zurennen der „geschlossenen“ Gruppe von Demonstranten auf die Gegendemonstranten während schon begonnener Gewalttätigkeiten stellt sich als psychische Unterstützungshandlung derjenigen Personen dar, die Gewalttätigkeiten begehen. Durch dieses von ihnen unterstützte gruppendynamische Verhalten haben sie die weitere Eskalation der Situation, in deren Folge es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam und worin sich letztlich die durch den Angriff manifestierte Gewaltbereitschaft ihrer gesamten Gruppe zeigte, aktiv gefördert.

Keine Notwehrlage durch „Straßenblockade“ der Gegendemonstranten, die es rechtfertigen würde, diese zur Wahrnehmung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Demonstrationsrechte gewaltsam zu durchbrechen, um zu dem Versammlungsort zu gelangen.

OLG-CELLE – Urteil, 3 U 264/08 vom 12.10.2011

1. Der Entschädigungsanspruch eines Mandanten gegen seinen Verteidiger, der in seinem Namen eine von diesem nicht autorisierte Erklärung in einem Strafprozess abgegeben hat, richtet sich nach den allgemeinen Voraussetzungen (§ 823 Abs. 2 BGB, Art 1 u. 2 GG, Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts), wobei eine Gesamtabwägung aller Umstände vorzunehmen ist.2. Ein Anspruch gegenüber der Presse auf Richtigstellung gem. §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB setzt zur Vollstreckung voraus, dass die Presse selbst etwas richtig stellen muss. Es besteht aber ein Anspruch auf Feststel-ung, dass die Erklärung (LS 1) nicht vom Kläger autorisiert war.

BVERWG – Urteil, 2 A 5.09 vom 27.01.2011

Der Dienstherr hat die Entscheidung, ob er Disziplinarklage gemäß § 34 BDG erhebt oder eine Disziplinarverfügung gemäß § 32 BDG erlässt, auf der Grundlage der Bemessungsregeln und -maßstäbe des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG zu treffen.
Bei der Bestimmung einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme ist zugunsten des Beamten zu berücksichtigen, dass der Dienstherr im behördlichen Disziplinarverfahren trotz entsprechenden Sachvortrags des Beamten die Aufklärung bemessungsrelevanter mildernder Umstände von erheblichem Gewicht unterlassen hat.

BVERFG – Beschluss, 2 BvR 491/09 vom 23.06.2010

1. Der Untreuetatbestand des § 266 Abs. 1 StGB ist mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren.

2. Die Rechtsprechung ist gehalten, Unklarheiten über den Anwendungsbereich von Strafnormen durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot).

3. Der in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende strenge Gesetzesvorbehalt erhöht die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.

HESSISCHER-VGH – Urteil, 8 A 1595/09 vom 26.05.2010

1. Neue Einwendungen eines Prüflings in Bezug auf einzelne Prüfungsleistungen, die keine selbständige rechtliche Bedeutung, sondern nur rechnerisch Einfluss auf das Gesamtergebnis einer Prüfung haben, stellen keine Klageänderung einer auf Neubescheidung über das Bestehen der Prüfung gerichteten Bescheidungsklage dar; sie können deshalb bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht erhoben werden und erweitern die gerichtliche Überprüfungspflicht.

2. Aufgrund der materiellen Rechtskraft eines vorangegangenen Bescheidungsurteils ist ein Prüfling mit der erneuten Erhebung solcher Einwendungen ausgeschlossen, wenn sie bereits Gegenstand der gerichtlichen Prüfung waren und abgelehnt worden sind.

Diese Grundsätze können sinngemäß zur Beantwortung der Frage herangezogen werden, inwieweit ein früherer Prozessvergleich der erneuten gerichtlichen Geltendmachung der darin geregelten Streitfragen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs und des widersprüchlichen Verhaltens entgegensteht.

3. Eine ungeeignete Prüfungsaufgabe bildet keine hinreichende und geeignete Grundlage für eine zutreffende materielle Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Prüflings, so dass eine neue Aufgabe zuzuteilen ist.

Davon zu unterscheiden ist ein materieller Beurteilungsfehler durch unzureichende Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades einer - grundsätzlich geeigneten - Prüfungsaufgabe, der grundsätzlich zur Neubewertung durch den gleichen Prüfer führt.

AG-SCHWETZINGEN – Urteil, 1 Cs 610 Js 28883/08; 1 Cs 610 Js 28883/ vom 06.04.2010

Der nicht zu widerlegende Irrtum des Angeklagten, der scheinselbständige Arbeitnehmer sei tatsächlich selbständig tätig gewesen, ist als Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB zu qualifizieren, mit der Folge, dass der Angeklagte freizusprechen ist.

Liegt eine klassische Scheinselbständigkeitskonstruktion nicht vor, weil der Angeklagte (Arbeitgeber) seinen Lohnaufwand durch die Beschäftigung des Scheinselbständigen nicht senkt, das Unternehmerrisiko nicht auf diesen abwälzt und der Scheinselbständige nachweislich auch auf eigenen Wunsch nach außen nicht als Arbeitnehmer behandelt wird, liegt ein Tatbestandsirrtum des Angeklagten nahe.

KG – Urteil, 2 Kart 1/09 vom 30.11.2009

1. Eine nach § 1 GWB kartellrechtswidrige horizontale Preisabsprache zwischen Bietern liegt nicht vor, wenn der Auftraggeber mit der Einholung der Angebote (ausnahmsweise) andere Ziele als die Durchführung eines Preiswettbewerbs unter den Bietern verfolgte.

2. Zum Freispruch des Bieters im Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, wenn Anhaltspunkte für das Fehlen eines Wettbewerbszwecks bestehen.

LG-FRANKFURT-AM-MAIN – Urteil, 2-03 O 614/08 vom 14.05.2009

1. Zum Anspruch eines Spitzensportlers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer unterbliebenen Normierung für einen Sportwettkampf und der Verhängung einer Vereinsstrafe nach Beendigung der sportlichen Karriere. 2. Der befristete Ausschluss aus der Nationalmannschaft (5 Monate) wegen vereinsschädigenden Verhaltens (öffentliche Kritik an einer Normierung verbunden mit der Erklärung, nur zusammen mit bestimmten Sportlern bei einem Wettkampf anzutreten) hält einer Überprüfung auf Billigkeit stand.

VG-FREIBURG – Beschluss, 4 K 1608/08 vom 19.11.2008

1. Glaubhafte Schilderungen von Gewalttätigkeiten und Ehrverletzungen durch den Ehepartner können wegen Unzumutbarkeit eines Festhaltens an der ehelichen Lebensgemeinschaft ein eigenständiges Aufenthaltsrecht begründen, ohne dass es zusätzlich auf die Unzumutbarkeit einer Rückkehr in das Heimatland ankommt.

2. Die Tatsachenwürdigung durch die Ausländerbehörde hat im Rahmen der Amtsermittlung eigenständig zu erfolgen und wird nicht durch die Einstellung eines gegen den Ehepartner geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens präjudiziert.

LG-KARLSRUHE – Urteil, 6 O 36/05 vom 14.11.2008

1. In der Regel wird der Zivilrichter vorangegangenen strafgerichtlichen Feststellungen folgen können, sofern nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit von den Parteien vorgebracht werden.

2. Anders denn als Angeklagter im Strafverfahren unterliegt der Beklagte als Partei im Zivilprozess jedoch grundsätzlich der Wahrheitspflicht (§ 138 I ZPO) und hat der ihn treffenden Darlegungslast zu genügen, um in erheblicher Weise zu bestreiten (§ 138 II, III ZPO).

3. Auch wenn das Strafverfahren gegen den Beklagten noch nicht abgeschlossen werden konnte, entbindet es diesen nicht von der zivilprozessualen Wahrheitspflicht. Insbesondere ist der strafprozessuale Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" durch § 138 ZPO nicht verletzt. Noch so zentrale strafprozessuale Grundsätze dispensieren selbst bei Zeitgleichheit des Straf- und Zivilprozesses nicht von der Beachtung zentraler zivilprozessualer Grundsätze.

4. Rein theoretische Zweifel, die der praktischen Vernunft entbehren, hindern nicht die Überzeugungsbildung des Zivilrichters nach § 286 ZPO.

VG-BRAUNSCHWEIG – Urteil, 6 A 281/07 vom 04.06.2008

1. Die Fahrtenbuchauflage darf in der Regel auf andere Fahrzeuge des Halters ("Ergänzungsfahrzeuge") erstreckt werden, wenn er Inhaber eines von ihm als Einzelkaufmann geführten Betriebes ist, im Ordnungswidrigkeitenverfahren keine Angaben zum Nutzerkreis des in seinem Betrieb eingesetzten Tatfahrzeugs gemacht hat und wiederholt mit verschiedenen auf ihn zugelassenen Fahrzeugen Verkehrsverstöße begangen wurden, bei denen der Fahrer nicht festgestellt werden konnte.2. Eine Ausnahme kommt in diesen Fällen (Leitsatz 1) in Betracht, soweit es bei Erlass der Fahrtenbuchanordnung Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Ergänzungsfahrzeuge in anderer Weise genutzt werden als das Tatfahrzeug und aus diesem Grund Verkehrszuwiderhandlungen oder Schwierigkeiten bei der Fahrerfeststellung insoweit nicht zu befürchten waren.3. Ob die Feststellung des Fahrzeugsführers aufgrund der im Ordnungswidrigkeitenverfahren durchgeführten Ermittlungen i. S. v. § 31a StVZO möglich gewesen ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Einschätzung einer Ermittlungsperson. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Bußgeldbehörde den Fahrer auf dieser Grundlage mit der für den Erlass eines Bußgeldbescheides erforderlichen Sicherheit feststellen konnte. Möglich war die Fahrerfeststellung danach nur, wenn es bei objektiver Betrachtung keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft gab. (Fortführung von VG Braunschweig, U. v. 17.07.2007 - 6 A 433/06 -)4. Eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 18 Monaten entspricht bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß in aller Regel dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

LSG-NIEDERSACHSEN-BREMEN – Urteil, L 5 VG 15/05 vom 12.12.2007

1. Eine Klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann zulässigerweise auch auf die Feststellung gerichtet sein, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i.S.d. § 1 OEG geworden ist und Versagungsgründe nach § 2 OEG nicht vorliegen.2. Zum Versagungsgrund nach § 2 Abs. 1 S. 1 2. Alt. OEG ("Unbilligkeitsgeneralklausel") bei bewusster / leichtfertiger Eingehung einer Gefahr, der sich das Opfer ohne Weiteres hätte entziehen können (hier: Freiwilliges Zusammentreffen mit dem späteren Täter in Kenntnis der Gefahr von Gewalttätigkeiten und vorangegangener Schutzbewaffnung).

VG-BRAUNSCHWEIG – Urteil, 6 A 433/06 vom 17.07.2007

Ob der Bußgeldbehörde die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers anhand eines Fotos von der Verkehrsordnungswidrigkeit möglich gewesen ist und ein Fahrtenbuch daher nicht angeordnet werden durfte, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Einschätzung einer Ermittlungsperson. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Foto objektiv von solcher Qualität ist, dass die Bußgeldbehörde auf dieser Grundlage den Fahrzeugführer mit der für den Erlass eines Bußgeldbescheides im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderlichen Sicherheit bestimmen konnte. Dies setzt voraus, dass es keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft geben durfte.

OLG-STUTTGART – Beschluss, 3 Ausl 87/06; 3 Ausl. 87/06 vom 14.05.2007

Die Auslieferung zur Strafvollstreckung an die Republik Türkei ist unzulässig, wenn begründeteAnhaltspunkte dafür bestehen, dass die Verurteilung auf einem Geständnis beruht, das durchFolter erzwungen worden ist, und die Verurteilung durch eines der früheren türkischen Staats-sicherheitsgerichte erfolgte, die wegen der Beteiligung eines Militärrichters keine unabhängigenund unparteilichen Gerichte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK waren.

KG – Beschluss, 2 AR 23/07 – 2 Ws 125/07 vom 23.04.2007

Ein Strafgefangener, der sein Rechtsmittel nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten erklärt, sondern eine von ihm verfasste Beschwerdeschrift bei diesem nur abgibt, erfüllt damit nicht die Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 StPO.

OLG-KARLSRUHE – Beschluss, 1 AK 25/05 vom 16.05.2006

1. Bestehen Bedenken an der Wahrhaftigkeit von Angaben des Verfolgten, die der Zulässigkeit seiner Auslieferung entgegenstehen, kann der im Auslieferungsverfahren herrschende Amtsermittlungsgrundsatz über Anfragen beim ersuchenden Staates hinaus auch die Vornahme weiterer Nachforschungen im Inland und die Durchführung einer Beweisausnahme gebieten.

2. Eine in Abwesenheit ergangene Verurteilung eines Verfolgten verstößt nicht gegen völkerrechtliche Mindeststandards, wenn dieser in Kenntnis vom Hauptverhandlungstermin bewusst auf eine Teilnahme hieran verzichtet und für ihn die Möglichkeit der Wahrnehmung rechtlichen Gehörs vor Gericht, etwa durch Beauftragung eines Anwaltes oder Kontaktaufnahme mit einem bestellten Verteidiger, bestanden hat.

OLG-CELLE – Beschluss, 222 Ss 196/05 (OWi) vom 25.08.2005

Zum Konkurrenzverhältnis zwischen einer Geschwindigkeitsüberschreitung und während dieser begangener Ordnungswidrigkeiten des Nichtanlegens eines Sicherheitsgurtes und des Benutzens eines Mobiltelefons unter Halten des Hörers.

VGH-BADEN-WUERTTEMBERG – Urteil, D 17 S 18/96 vom 17.02.1997

1. Der Annahme einer rechtswirksamen Einleitung des Disziplinarverfahrens steht nicht entgegen, daß der "Kopf" der Einleitungsverfügung nur eine allgemeine Bezeichnung der Behörde enthält und nicht den zur Ausübung der Disziplinarbefugnisse zuständigen Leiter der Behörde benennt.

2. Kürzung des Gehalts eines Gerichtsvollziehers bei Verstoß gegen die Pflicht, empfangene Leistungen des Schuldners und nicht verbrauchte Kostenvorschüsse unverzüglich weiterzuleiten bzw dem Gläubiger zurückzuzahlen.

VGH-BADEN-WUERTTEMBERG – Urteil, D 17 S 10/96 vom 30.09.1996

1. Gehaltskürzung wegen Fernbleibens vom Dienst nach abgelaufener Beurlaubung und wegen ungenehmigter Nebentätigkeit, wenn die Dienstleistungspflicht und die Genehmigungspflichtigkeit der Nebentätigkeit aufgrund vermeidbaren Irrtums verkannt wurden.

OLG-KOELN – Urteil, 19 U 252/94 vom 07.07.1995

Keine Mithaft des Vorfahrtsberechtigten, der die zulässige Geschwindigkeit eingehalten hat 1. Der Anscheinsbeweis gegen den Wartepflichtigen bei einem Zusammenstoß mit einem Bevorrechtigten im Kreuzungsbereich kann durch den Nachweis eines atypischen Verlaufs erschüttert werden. Die bloße Möglichkeit eines atypischen Verlaufs reicht dafür nicht aus. 2. Zu den Pflichten eines Wartepflichtigen nach § 8 StVO kann es auch gehören, beim Einfahren in die bevorrechtigte Straße so zu beschleunigen, daß er nicht länger als nötig ein Hindernis für den bevorrechtigten Verkehr bildet. 3. Aus der Festlegung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit folgt nicht, daß diese Geschwindigkeit stets als angemessen anzusehen ist, sondern es ist die auch bei günstigsten Bedingungen zulässige Maximalgeschwindigkeit. Ein Autofahrer kann jedoch in der Regel darauf vertrauen, daß die zulässige Höchstgeschwindigkeit für eine bestimmte Strecke so festgesetzt worden ist, daß die Straße bei den vorausgesetzten günstigen Bedingungen unter Einhaltung dieser Höchstgeschwindigkeit gefahrlos befahren werden kann. 4. Ein Vorfahrtsberechtigter ist ohne besondere Anhaltspunkte dafür, daß sein Vorrecht mißachtet werden könnte, nicht verpflichtet, seine Geschwindigkeit zu reduzieren, wenn ein Wartepflichtiger sich einer Kreuzung oder Einmündung nähert oder dort hält. Er darf darauf vertrauen, daß sein Vorrecht beachtet wird.

BVERWG – Urteil, BVerwG 2 C 9.06 vom 03.05.2007

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG haben die Verwaltungsgerichte auch bei Zugriffsdelikten die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen (vgl. BVerwGE 124, 252 <258 ff.>). Dabei ist auch erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB einzubeziehen.

Die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG ist richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Sie indiziert bei Zugriffsdelikten die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt.

Im Fall der Spruchreife kann das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht selbst auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme erkennen.

BVERWG – Urteil, BVerwG 2 C 30.05 vom 03.05.2007

Das Geständnis eines Beamten, bestimmte Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben, unterfällt nicht den Regeln über rechtsgeschäftliche Willenserklärungen gemäß §§ 104 ff. BGB. Vielmehr ist die Richtigkeit der zugestandenen Angaben nach dem Gebot der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu beurteilen.

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG haben die Verwaltungsgerichte auch bei Zugriffsdelikten die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen (vgl. BVerwGE 124, 252 <258 ff.>). Dabei ist auch erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB einzubeziehen (wie Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 -).

Weitere Begriffe

  • Grundrente Urteile
  • Grundrechtsverzicht Urteile
  • Grundrechtsverwirkung Urteile
  • Grundrechtskollision Urteile
  • Grundrechtseingriff Urteile
  • Grundsatz "in dubio pro reo"
  • Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens Urteile
  • Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Urteile
  • Grundsatz der Bestenauslese Urteile
  • Grundsatz der Chancengleichheit Urteile
  • Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts Urteile

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